Liebe Mitbürgerinnen und liebe Mitbürger,
ich mag euch!
Vor über vier Wochen habe ich ein Land verlassen, in dem Flüchtlinge scheinbar nur bedroht und unwillkommen waren. Dass dem ausschließlich so war, konnte ich mir zwar nicht vorstellen, denn ich lebe in einer Welt, die on- und offline fast frei zu sein scheint von Ich-hab-ja-nichts-gegen-Ausländer-aber-Menschen und anderen Nazis. Der vielbeschworene Aufstand all der Anständigen in unserem Land war zu der Zeit jedoch echt noch nicht absehbar.
Aber ihr habt die Zeit wahrlich genutzt! Ich bin in ein Land zurückgekehrt, dessen Bewohner mir mit ihrer Menschlichkeit Tränen der Freude und der Rührung in die Augen treiben. So viele großartige, kreative, herzliche Initiativen, um Menschen auf der Flucht zu helfen! Sprachlos und sehr bewegt starre ich auf das Engagement in meinem Land.
Das ist ein neues, modernes Deutschland. Unser Versprechen aus dem Fußballsommer haben wir wahr gemacht. Ein Land voller Menschen, die wissen, was sie haben und die das bereitwillig teilen mit anderen Menschen, die Furchtbares durchlebt haben und die bei uns Sicherheit und eine Zukunft suchen. Ein Land voller Menschen, deren Gläser mindestens halb voll und deren Herzen weit offen sind.
Klar ist es nicht perfekt, sind wir nicht perfekt. Aber wir üben uns in Menschlichkeit, Wärme und Liebe. Wie perfekter könnte es sein? Auch den Asyl-Gegnern müssen wir mit derselben Liebe begegnen, wie denjenigen, für die wir kämpfen und denjenigen, die auf unserer Seite stehen. Die Antwort auf Hass darf nicht Hass sein; Der ändert nichts zum Besseren, und schon gar keine Menschen. Aber lassen wir uns von den Kritikern, Schwarzsehern und Neonazis nicht ablenken von unser eigentlichen Aufgabe.
Ich war lange kein Freund von virtuellen Bekenntnissen zu selbstverständlicher Menschlichkeit. Was soll es bringen, wenn ich mir ein Banner auf die Webseite oder auf den Avatar beppe, ohne mich im RL zu engagieren? Wem hilft es, wenn ich Willkommensbotschaften in Kameras halten oder entsprechenden Facebook-Gruppen beitreten, nur um zu betonen, dass ich offen und mitfühlend bin, wenn es niemand zu spüren bekommt? Ich habe meine Meinung geändert. Inzwischen weiß ich: Wir müssen immer und überall zeigen, woran wir glauben und wofür wir (ein)stehen. Lasst uns Offenheit, Menschlichkeit, Mitgefühl und Liebe auf unsere virtuellen Fahnen schreiben – und lasst diesen Bekenntnissen auch Taten folgen.
Vor uns liegt noch ein weiter Weg und keine von uns kann ihn ganz allein bewältigen. Aber wir haben gezeigt: Wir sind nicht alleine. Wir sind viele. Jeder einzelne Schritt, wie mühsam er auch sein mag, ist es wert gegangen, gestolpert, geschritten zu werden, wenn die Möglichkeit besteht, das Leben von Menschen auch nur ein bisschen heller zu machen. Und ich hoffe darauf, dass uns dabei nicht die Puste ausgeht, auch wenn der Hype abflaut. Wir bauen das Land, in dem wir alle gerne leben wollen. Packen wir es an, jeden Tag aufs Neue.
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Blogger für Flüchtlinge ist eine Initiative von Nico Lumma, Stevan Paul, Karla Paul und Paul Huizing, die Spenden sammelt, Flagge zeigt und Aktionen vernetzt. Die obige Version des Originallogos (von Béa Beste) stammt von Nina Reddemann.