Remember, remember: mein Tag im November

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Kein anderer Text aus einem Schulbuch hat mein Leben beeinflusst wie dieser, der in der ungefähr siebten Klasse in unserem Englischbuch stand: die Geschichte von Guy Fawkes. Guy und seine Kumpels kamen im Jahr 1605 auf die glorreiche Idee, das britische Parlament und mit ihm James I., seine Familie und quasi die gesamte Obrigkeit in die Luft sprengen zu wollen. Der Anschlag wurde in letzter Minute vereitelt, Guy Fawkes gefangen genommen, gefoltert und später mit den anderen Verschwörern auf die grausamste Weise hingerichtet.*

Das ist eine aufregende Geschichte, keine Frage. Warum ich sie mir aber so gut gemerkt habe, hat einen anderen Grund: Guy Fawkes suchte sich für seinen Anschlag ausgerechnet meinen Geburtstag aus. Seitdem gedenken die Briten jedes Jahr am 5. November (am Bonfire oder Guy Fawkes Day) mit Fackelzügen, Feuern, brennenden Strohpuppen und inzwischen auch Feuerwerken dieses vereitelten Putschversuchs, der als die Pulververschwörung (oder eben Gunpowder Plot) in die Geschichte eingegangen ist.

Seit ich zum ersten Mal davon gelesen hatte, träumte ich davon, diesen Tag einmal in Großbritannien zu erleben. Was könnte es Cooleres geben, als ein riesiges Geburstagsfeuerwerk und Freudenfeuer dazu? Ich weiß noch, dass mir eine solche Reise damals fast unmöglich erschien. Was war die Welt doch noch groß! Ich konnte mir tatsächlich kaum vorstellen, bis nach Großbritannien zu reisen. Und dann auch noch mitten im November. Zwar wurde die Welt später ein bisschen kleiner und England rückte näher, aber meinen Traum musste ich noch sehr lange träumen.

Nach halbherzigen Versuchen in Irland (eine gescheiterte britische Revolution feiern?!?) und Neuseeland (vier Tage zu spät, mate), war es in diesem Jahr endlich soweit. Begleitet von meinen wunderbaren Freunden, die diese (ich gebe es zu: irre) Aktion mit mir durchgezogen haben, fuhr ich für ein Wochenende nach London, nur um dort den Bonfire Day zu erleben. Und was soll ich sagen? Es hat sich sowas von gelohnt!

Nach einem wunderschönen und leckeren Tag in der britischen Hauptstadt, standen wir am Abend meines Geburststags vor dem Alexandra Palace und blickte hinunter auf London, wo überall einzelne Feuerwerke zwischen den Lichtern der Stadt emporstiegen. Mit uns waren noch ca. 49.997 andere Feuerwerksbegeisterte auf dem ausverkauften Festivalgelände und harrten der Dinge, die da am wolkenlosen Himmel passieren sollten. Um Punkt acht Uhr startete das Super-Feuerwerk.

london_fireworks

Es ist ein merkwürdiges Gefühl, wenn so ein langgehegtet Wunsch endlich Realität wird. Als ich dort stand und verzaubert zum Himmel blickte, wurde mir plötzlich bewusst, was ich da gerade tat: Ich erfüllte mir einen Kindheitstraum, vielleicht meinen letzten. Das machte mich kurz ein bisschen wehmütig. War dies ein Abschied? Doch dann wurde mir klar, dass ich noch lange genügend Träume übrig haben werde und dieser Tag nicht perfekter hätte sein können. Ich hatte es wahr gemacht! Der nächste Goldregen durchflutete mich wieder mit Glück.

Als das Feuerwerk vorbei war, merkte ich, dass ich 30 Minuten fasziniert und bewegungslos in der Kälte gestanden hatte, denn meine Beine gaben beim ersten Schritt ein bisschen nach. Während die anderen Besucher zum Hauptausgang strömten, um den U-Bahnhof zu verstopfen, holten wir uns lieber noch Heißgetränke. Wieder aufgewärmt benutzen wir dann den Hinterausgang. Eine kluge Entscheidung, wie sich herausstellte, denn bei unserem Spaziergang hinunter nach Highgate hatten wir noch tolle Ausblicke auf das nächtliche London mit seinen anderen Feuerwerken.

Man könnte meinen, ich hätte meinen Traum erfüllt und leer geträumt auf dem Hügel des Alexandra Palace zurückgelassen. Das Gegenteil ist der Fall. Ich habe ihn als Erinnerung wieder mitgenommen, noch reicher und bunter als vorher. Wenn man sich auf so eine perfekte Weise einen Traum erfüllt, trägt man ihn wahrscheinlich für den Rest des Lebens in sich. Und so werde ich wohl weiterhin, aber ab jetzt mit einem wohligen Lächeln, an jedem meiner Geburtstage die Verse proklamieren, die schon in unserem Englischbuch standen:

Remember, remember
the Fifth of November
Gunpowder, treason and plot;
I see no reason
why gunpowder treason
Should ever be forgot.

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*Guy Fawkes selbst ersparte sich am Ende durch einen beherzten Sprung ins Seil das grauenvolle Ausweiden – aber so detailiert stand das damals natürlich nicht in meinem Englischbuch. Für einen schnellen und interessanten englischsprachigen Überblick zum Guy Fawkes Day hier entlang.

Bildnachweis: Die tollen Fotos dieses Beitrags stammen mit freundlicher Genehmigung von meinem Geburtstagsfotografen Kai Pätzke.