Man sagt, dass die Grenzen der Sprache die Grenzen des Selbst sind. Das wird jedem, der anfängt eine Fremdsprache zu lernen und sich in dieser neuen Sprache ausdrücken will, wohl immer wieder schmerzlich bewusst. Wenn man ein Wort nicht kennt, kann man es nicht verwenden, muss umständlich umschreiben, was man eigentlich sagen will und kann sich so im schlimmsten Fall über diesen Sachverhalt – oder schlimmer noch: dieses Gefühl – unzureichend oder gar nicht verständigen.
Aber es ist nicht alles eine Frage des Vokabellernens: Manche Ereignisse, Bezeichnungen und Empfindungen sind so stark mit einer Kultur verbunden und in die Sprache eingewoben, dass sie sich nicht oder nur sehr kompliziert übersetzen lassen – egal, wie gut man die „fremde“ Sprache spricht. Sprachen sind ein Spiegel der jeweiligen Kultur und „ticken“ ganz unterschiedlich. Je besser ich eine neue Sprache kennenlerne, desto verblüffter stelle ich fest, welche ungeahnten Welten sich darin eröffnen. In jeder Sprache liegen Wörter und Redewendungen verborgen, hinter denen sich ganze Denkwelten verstecken.
Im Schwedischen gibt es beispielsweise das großartige Adjektiv „kaffeesugen“, das beschreibt, dass jemand große Lust auf Kaffee hat, sowie natürlich „lagom“, das sich am ehesten als „genau passend“ übersetzen lässt, hinter dem aber eine ganz eigene Weltanschauung steht (mehr zu lagom im Wort-Schatz). Diese und viele andere Wörte fehlen mir inzwischen im Deutschen, denn seit ich sie und die Idee dahinter kenne, habe ich das Bedürfnis, meine neuentdeckten Empfindungen damit zu benennen.
Aber es geht natürlich auch umgekehrt: Denkmuster, die uns im Deutschen vertraut sind, lassen sich nicht verlustfrei in andere Sprachen übersetzen. Dafür muss man nicht bis in die ur-deutschen Gefühlswelten von Schadenfreude, Fernweh und Gemütlichkeit abtauchen; Es beginnt schon damit, dass wir zum Beginn des „deutschen“ Essens einander höflich einen „guten Appetit“ wünschen – ein Ritual, für das im Englischen so die Worte und die Tradition fehlen.
Sich in neuen Sprachen auszudrücken erweitert auch den Blick auf die Besonderheiten der eigene Sprache. Großartig ist zum Beispiel unsere deutsche Spezialität, eigenständige Wörter aneinander zu hängen, mit denen wir quasi jeden Sachverhalt verständlich benennen können, ohne dass das Wort selbst vorher bekannt oder gar existent sein muss (zum Beispiel: Bilderrahmenfarbe, staubkornklein, Feierabendgefühl, feuerwehrrot, Junimorgenlächeln). Solche Kreationen zu übersetzen und dabei umschreiben zu müssen, kann ganze Nebensätze erfordern.
Fremdsprachen kennenzulernen bringt also nicht nur eine weitere Qualifikation im Lebenslauf. Neue Sprachen erweitern die eigene Welt, indem sie die Augen öffnen für all die Wunder, die es innerhalb und außerhalb unserer eigenen kleinen Sprachwelt gibt. Sie bereichern uns um Gefühle, die wir aus unserer Kultur nicht kennen, eröffnen uns neue Sichtweisen und stecken die Grenzen unserer Weltsicht neu ab. Im besten Fall nehmen sie uns die Fremdheit und bringen so die große weite Welt ein bisschen näher zusammen.
Japanisch, russisch, schwäbisch: Was sind eure liebsten Konstruktionen, die typisch für eine bestimmte Sprache oder einen Dialekt sind?
Bildnachweis: „Atypical welcome“ von Quinn Dombrowski (quinn.anya, flickr).
mamulo
Die asiatische Höflichkeit ist ebenso sprichwörtlich wie komplex. Damit niemand sein Gesicht verliert, sind Höflichkeitsformen immer mit mindestens einem Fangnetz abgesichert. Das beginnt schon bei der Begrüßung.
In Japan sagt man „hajimemashite“, wenn man einem Menschen zum ersten Mal begegnet. Eine wortwörtliche Übersetzung gibt es nicht. Das Wort drückt aus, dass es das erste Mal ist (hajime – der Anfang). Gleichzeitig bekundet man vorsichtig seine Hoffnung, dass es nicht das letzte Mal sein möge. Sind wir mal ehrlich: Bei wie vielen „Guten Tag“- oder „Es freut mich, Sie kennenzulernen“-Begrüßungen standen wir im Nachhinein kurz davor, uns auf die Zunge zu beißen? In Japan hingegen riskiert man nur die völlig unblutige Enttäuschung einer beiläufig geäußerten Hoffnung.
Silke
Ui, diese Begrüßung ist aber auch nichts für Leute mit schlechtem Menschengedächtnis. Die riskieren also, sich eine blutige Lippe zu holen. Ach nee, dazu sind die Japaner bestimmt zu höflich. Gut, dass wir das im Deutschen nicht haben …