Dieses Weihnachten war etwas ganz Besonderes, denn ich war dabei. Was pathetisch klingen könnte, ist ganz trivial: Im letzten halben Jahr hatte ich zweimal gute Chancen zu sterben. Das erste Mal hat wohl am allermeisten in meinem Kopf stattgefunden, aber Leben war danach erstmal wieder keine Selbstverständlichkeit mehr. Das zweite Mal hat sich das Auto, in dem ich saß, überschlagen. Totalschaden; nur nicht bei mir. Ich hatte nur zwei blaue Flecken. Danach erschien mir das Leben wieder sehr zerbrechlich – und doch so stark. Es ist ein Wunder, dass es uns alle überhaupt gibt, trotz der widrigen Umstände. Ich wache morgens auf, atme, lache, liebe, lebe. Während andere das nicht mehr tun. Es wundert mich, wie stark die Stricke sind, die ausgerechnet mich ans Leben binden.
Ich habe das – zugegeben: fragwürdige – Privileg mit dem Tod aufgewachsen zu sein; der Tod mir lieber Menschen, aber auch meine eigene Sterblichkeit waren mir stets vor Augen. Ich weiß, dass Sterben mitten ins Leben gehört. Auch wenn ich es nicht schaffe, mir dessen in jeden Moment bewusst zu sein (und ich denke, dass das auch nicht gut wäre), so hilft es mir doch immer wieder, zu dem zurückzukommen, was eigentlich wichtig ist. Ich will leben, so dass jeder Tag ein guter Tag zum Sterben sein könnte. Nicht, weil ich sterben will, im Gegenteil! Aber ich will leben, ohne zu bereuen, etwas getan oder unterlassen zu haben und ohne Dinge ungesagt, unabgeschlossen zu lassen. Ich will mutig wagen, ohne leichtsinnig zu sein. Ich möchte jeden Tag als Geschenk sehen, ihn bewusst erleben und auskosten. Diese Vorsätze verlieren sich allzu oft im Alltagsnebel, aber es tut gut, sie immer mal wieder hervorzukramen und einzuüben, danach zu leben. Es war ein gutes Gefühl, nach dem Überschlagsunfall festzustellen, dass ich zwar meine Wohnung nicht vorbildlich hinterlassen habe, dass aber alle Menschen meines Lebens wissen, was sie mir bedeuten und das Wichtigste mit ihnen geklärt ist.
Ich habe einmal gehört, dass jeder Schritt eigentlich nur ein abgefangener Sturz ist. Demnach wäre jeder neue Tag ein Nicht-Sterben. Aber genauso wie tanzen mehr ist als nicht zu fallen, ist leben nicht nur bloßes Überleben. Es liegt an mir, jeden Tag mit Leben zu füllen. Ich bin dafür verantwortlich, ob ich glücklich bin oder nicht. Natürlich gibt es Zeiten im Leben, da ist kein Platz für Glück und Freude, da regieren Gleichgültigkeit, Verzweiflung und Schmerz. Aber Glücklichsein ist eine Grundsatzentscheidung, die helfen kann, Leid zu überwinden und ins Leben zurückzukehren. Glück ist kein fernes Ziel, das mir das Schicksal vielleicht, vielleicht auch nicht beschert, sondern Glück kommt aus mir und ist eine Lebenseinstellung, um die es sich lohnt zu kämpfen.
Momente, in denen ich mir meiner Endlichkeit bewusst werde und mir deutlich wird, wie kostbar jede Stunde ist, vertiefen und intensivieren mein dahinplätscherndes Leben. Ich bin sehr dankbar für diese Weckrufe und die Chance, es danach noch einmal probieren zu dürfen. Meine sieben Leben scheinen bald aufgebraucht zu sein, aber zum Glück bin ich ja keine Katze, sondern ein Wunder. Für 2014 würde ich mir gerne ein Jahr ohne Abschiednehmen wünschen, denn das bin ich grade mehr als leid. Aber ich weiß, wie naiv das wäre; Dem wird nicht so sein und das ist wohl auch okay so. Leben ist Veränderung und jede Veränderung bedeutet Abschied und Neuanfang. Ich wünsche mir also 365 Tage, in denen ich nicht zulasse, dass das Leben einfach so vor sich hin- oder gar an mir vorbeiplätschert. Ich wünsche mir 365 Tage prallgefüllt mit Leben, mit vielen Höhen – und den Tiefen, ohne die die Höhen nur alltägliche Normalität wären. Ich wünsche mir Alltag und Abenteuer und die Kraft und den Mut beides zu gestalten, zu genießen, auszuhalten. Trotz aller Rückschläge, Nervereien und allem Schmerz ist das Leben wunderschön. Mehr davon!