Wissen ist auch nur Schall und Rauch

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Kanye at Coachella 2011 (vonlohmann)

„Was?!? Den kennst du nicht?“ fragte mich mein amerikanisches Mittagsdate neulich ziemlich fassungslos, nachdem ich gewagt hatte zu erwähnen, dass ich nicht genau wisse, wofür Kanye West eigentlich so berühmt sei. Während mein Begleiter noch lachte, googelte ich: Aha, der Herr ist offensichtlich ein sehr bekannter, kulturell einflussreicher US-amerikanischer Musiker. Vorsingen wollte mir mein Mittagsdate aber nichts von ihm; das hätte mir als Radiohörerin vielleicht geholfen, aber so: „Nö, keine Ahnung.“

Nach der ersten Scham, wohl offensichtlich doch ziemlich uncool zu sein, siegte die Erkenntnis: Wissen ist nicht nur subjektiv, es ist auch relativ. Ich weiß sehr viele andere Dinge, die ich für relevant halte und ganz offensichtlich vieles nicht, was andere wichtig finden. Viel zu oft setzen wir uns selbst zum Maßstab der Allgemeinbildung und wundern uns, was andere so alles nicht wissen (und trotzdem überleben). Das, was wir wissen und was wir für wissenswert halten, wird geprägt von regionaler Herkunft, ethischen Werten und den sozialen Umgebungen, die uns seit unserer Geburt geprägt haben. Voraussetzbares Allgemeinwissen gibt es nicht mehr – und schon gar nicht, wenn sich ein Amerikaner und eine Deutsche unterhalten.

Mein Opa war immer einigermaßen überrascht, wenn er feststellte, dass ich ihm zwar die Klimazonen Afrikas aufsagen konnte, dafür aber unsicher war, welches der längste Fluss Deutschlands ist oder wo genau Bamberg liegt. Auch diese Bildungslücken habe ich inzwischen geschlossen (und hoffe inständig, dass der Erdkunde-Lehrplan für nachfolgende Schülergenerationen wieder praxisnaher gestaltet wurde). Mir ist aber sehr wohl bewusst, dass ich nicht mehr alle meine Wissenslücken schließen werde. Wir leben im Informationszeitalter, in dem das Wissen der Menschheit täglich aufs Neue explodiert. Der angeblich letzte Universalgelehrte der Welt, Gottfried Wilhelm Leibniz, ist seit knapp 300 Jahren tot. Seitdem übersteigt das Wissen der Menschheit die Menge an Informationen, die ein Mensch in seinem Leben aufnehmen kann, in einem Ausmaß, dass mir beim bloßen Gedanken daran schwindelig wird. Und es macht mich ganz wunderbar bescheiden und entspannt mich: egal wie sehr ich mich bemühe, ich habe keine Chance alles zu lernen, was es zu wissen gibt. Und das ist völlig okay.

Wissen wird immer spezialisierter und kleinteiliger. Die Zahl der Wissenschaftler steigt stetig, ebenso wie die Anzahl der neuen Erkenntnisse und der wissenschaftlichen Publikationen. Der Drang nach Wissen und Informationen ist groß, auch bei mir. Was ich nicht weiß, kann ich im Alltag bequem von überall im Internet nachschauen. In meinem Kopf bleibt es davon zwar nicht sofort hängen, aber der birgt trotzdem unglaubliche Mengen an Wissen. Wie bedeutend all diese Informationen tatsächlich objektiv sind, ist mir dabei egal. Neben Wissen, das zur Allgemeinbildung gezählt werden kann, sind in meinem Kopf auch jede Menge Informationen, die andere unnütz finden. Sie waren jedoch offenbar relevant genug für mich, als dass ich sie mir gemerkt hätte.

Jeder von uns weiß unglaublich viel! Mit Dingen, die ich nicht weiß, souverän umzugehen und im Zweifelsfall einfach mal nachzufragen, fällt mir gerade sehr leicht. Ob mich jemals wieder jemand fragen wird, wer Kayne West ist, ob ich das dann noch weiß und ob mein Halbwissen mir weiterhelfen wird, ist fraglich. Angesichts all der Dinge, die ich niemals wissen werde, tut es gut, zurückzutreten und sich auf das zu besinnen, was wirklich wichtig ist im Leben. Und dieses Wissen ist das Einzige, was tatsächlich zählt.

Bildnachweis: „Kanye at Coachella 2011“ von Fred von Lohmann (vonlohmann) (flickr). CC BY 2.0