Als ich vor dreieinhalb Jahren in die Buchbranche wechselte, dachte ich allen Ernstes, der große digitale Durchbruch würde hinter den Kulissen der Verlage vorbereitet und der Launch der gemeinsamen Antwort auf die drängenden Fragen der sich wandelnden Lesegesellschaft stehe kurz bevor. Es hat einige Wochen gedauert, bis ich akzeptieren konnte, dass dem nicht so war. Bis dahin nahm ich an, ich hätte mich einfach nur mit den falschen Leuten unterhalten und die falschen Informationsquellen konsultiert. Die digitale Bauchlandung der Musikindustrie musste die Verlagsbranche doch wachgerüttelt haben. Konnte es wirklich sein, dass die angestaubten Semi-Innovationen alles waren, was eine Branche zu bieten hatte, die an der Quelle allen Wissens saß?
Die Einsicht, dass es wohl doch keinen Innovationsgeheimbund gab, war ernüchternd. Zwar beschäftigte mich die Einarbeitung in meine neue Arbeit genug und auch die vielen Print-Aspekte machten mir großen Spaß, doch blieb eine leise Enttäuschung ob der fehlenden digitalen Buchrevolution. Mit steigendem Branchenverständnis begann ich auch langsam zu verstehen, warum das alles noch viel komplizierter zu sein scheint, als ich mir das von außen zu träumen gewagt hätte. Ich schöpfte erst wieder neue Hoffnung, als ich mein erstes Buchcamp besuchte. Hier traf ich auf Buchmenschen, die genauso für Innovation, Technik und Fortschritt brannten wie ich und den anstehenden Veränderungen lachend entgegenliefen.
Durch die Digotalos, die in mein Leben getreten waren, veränderte sich mein Bild der Branche nachhaltig und meine Augen öffneten sich für die vielen kleinen Schritte, die ringsum Richtung Zukunft gegangen werden. Auch erkannte ich, dass der Wissenschaftsverlag, für den ich arbeitete, trotz aller Tradition zu den innovativen Vorweggehern des Bereichs gehört. Das beruhigte mich. Leider ließen sich all die tollen Ideen mit enhanced E-Books, Apps und Story Telling nicht wirklich auf unsere Produkte übertragen. Konkret wurde die Innovation für meinen beruflichen Alltag dann mit meiner ersten APE, der Konferenz für Akademisches Publizieren in Europa. Hier erfuhr ich endlich, was wirklich hinter dem Schlagwort Open Access steht, wie Wissenschaft in anderen Bereichen tickt und was Bibliotheken mit wissenschaftlichem Publizieren noch zu tun haben. Die Idee von Open Access, also der freie Zugang zu wissenschaftlichen Forschungsergebnissen, hat mich sofort überzeugt und begeistert. Auch die neuen Aufgaben und die Rolle der Verlage dabei interessierten mich sehr. Ich fing an, mehr darüber zu lernen, Vorträge und Sessions dazu zu halten und arbeitete mit Kollegen anderer Verlage an Wegen, Open Access in traditionelle Verlage zu integrieren.
Jetzt ist es Zeit, weiterzugehen: Ich verlasse die traditionelle Verlagswelt. Ich gehe als „Media and Communications Officer“ in einen Open-Access-Verlag, der seit 25 Jahren in der Wissenschaft verankert ist und seit 2004 ganz auf Open Access setzt. Als ich meine Entscheidung bekannt gab, fragte mich jemand, ob ich denn gar keine Hoffnung mehr für das traditionelle Buch sehen würde und das sinkende Schiff Verlag lieber schnell verließe. Dem ist nicht so! Zwar glaube ich, dass Open Access über kurz oder lang die Zukunft des wissenschaftlichen Publizierens ist – wobei „lang“ in den Geisteswissenschaften ein dehnbarer Zeitraum sein könnte. Ich glaube aber auch, dass es weiterhin Buchverlage und natürlich Bücher geben wird. Digital wird Druck nicht ganz ersetzen. Genauso wie Radio und Theater weiterhin neben Fernsehen und Kino existieren und sie alle sich gegenseitig ergänzen und befruchten, werden sich auch digitale Produkte neben dem Buch in die Medienwelt einfügen. Dass das Eine das Andere verändern vermag, empfinde ich als große Bereicherung.
Fachlich betrete ich jetzt wieder Neuland und werde neue Wege finden müssen. In einigen Bereichen meiner neuen Aufgabe kehre ich zu meinen beruflichen Anfängen zurück. Wie diese Reise ausgehen wird, bleibt abzuwarten. Spannend wird sie für mich auf jeden Fall. Und ich freue mich auf ein neues, großes Abenteuer!
Bildnachweis: Adrienne Yancey für opensource.com, CC BY-SA 2.0.
Maria
Alles Gute, take care und bis bald! :)
sinahar
Danke :) Gerne bis bald!
Petra
Alles Gute auf dem Weg ins neue Abenteuer! Ob Darwin oder Verlag – die Evolution bleibt Thema.
sinahar
Huch, ich scheine tatsächlich verfolgt zu werden … Danke für die guten Wünsche, Petra.
Hiob Montag
Das klingt spannend, was macht man so als Media & Communications-Officer?
sinahar
Das weiß ich auch noch nicht so ganz genau, aber ich werde es rausfinden!
Bereicherung durch Veränderung | Schreibsucht
[…] Genauso wie Radio und Theater weiterhin neben Fernsehen und Kino existieren und sie alle sich gegenseitig ergänzen und befruchten, werden sich auch digitale Produkte neben dem Buch in die Medienwelt einfügen. Dass das Eine das Andere verändern vermag, empfinde ich als große Bereicherung. Silke N. Hartmann […]