Ich war einmal ein Mensch mit vielen Prinzipien: Rosa, Streifen und Röcke trage ich nicht; Kartoffeln schmecken nicht; in jüngere Männer verliebt man sich nicht; Jack Wolfskin-Läden betritt man nicht; für Mehrbettzimmer bin ich zu alt; gemeinsame Urlaube ruinieren die Freundschaft; Autos verleiht man nicht; Südostasien interessiert mich nicht; … Meiner Prinzipienkreativität waren keine Grenzen gesetzt.
Inzwischen bin ich allerdings längst zu alt geworden für Prinzipien. Zwar machen sie das Leben leichter, weil nicht jede Entscheidung neu getroffen werden muss, aber ich habe festgestellt, dass mich jede diese Grundsatzregeln blockiert. Sie engen nur die Möglichkeiten der Erlebnisse ein, die ich haben kann und machen mein Leben dadurch viel kleiner und grauer.
Alle meine alten Prinzipien habe ich also über Bord geworfen und die ganze Welt steht mir offen. Am Anfang war das gar nicht so leicht, aber wenn ich in der Übergangsphase gemerkt habe, dass ich etwas aus Prinzip tat oder unterließ, dann machte ich genau das Gegenteil von dem, was ich aus Prinzip getan hätte. Dabei merkte ich, wie befreiend das war und welch wunderbare Erlebnisse ich mir mit meinen Grundsatzregeln versagt hatten. Zwar sehe ich in gestreiften Shirts immer noch blöd aus, aber manchmal darf das eben sein. Prinzipien habe ich aus Prinzip nicht mehr.
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Dieser Text ist ein Fundstück aus dem Herbst 2016. Da er bis heute seine Gültigkeit nicht verloren hat, entlasse ich ihn in die Welt.
Bildnachweis: Schilderwald von Jumo. (CC BY-NC 2.0)