Meine Rückkehr zwischen die Buchseiten

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Ich lese wieder. Nach Jahren, in denen ich wahrschein maximal fünf Bücher im Jahr durchgelesen habe, lese ich grade gefühlt ein halbes Dutzend im Monat.

Lange habe ich versucht, wieder Zugang zu Literatur zu bekommen, war ich doch bei meiner täglichen Arbeit umzingelt von Büchern, von Sätzen und Worten, die eigentlich Lust hätten machen sollen auf mehr. Aber das Gegenteil war der Fall. Je mehr ich beruflich mit Büchern zu tun hatte, desto weiter hielt ich mich in meiner Freizeit von ihnen fern. Nicht, dass ich nicht gelesen hätte, im Gegenteil. Ich las auch in meiner Freizeit viel: Blogposts, Zeitschriftenartikel, Tweets, Kurzgeschichten, fremdsprachige Texte, Kommentare, sogar Sachbücher. Mein Kopf war voll mit Meinungen, Fakten, alltäglichen Aufregern, aber ich las sehr wenig Literatur. Und das gefiel mir nicht.

Monatelang stand ich in der örtlichen Stadtbibliothek immer wieder ratlos vor den Regalen und wusste nicht, auf was ich Lust hatte. Ich hatte den Anschluss verloren. Schließlich lieh ich wahllos aus, was halbwegs interessant erschien – nur um die Bücher höchstens angelesen unverlängert wieder zurückzugeben. Ich war unerbittlich, wenn mir eine Geschichte nicht auf Anhieb gefiel. Schließlich waren meine Regale voll mit Büchern, die ich noch nicht gelesen hatte.

Schon vor meiner großen Reise änderte sich das. Bücher, die seit Jahren, Jahrzehnten ungelesen herumstanden, die ich so durch die Republik mitgeschleppt hatte, auf die ich aber immer noch keine Lust hatte, zogen aus und wanderten weiter. Meine Bibliothek schrumpfte beträchtlich. Das war wie eine Befreiung. Ohne diesen Balast, diese vorwurfsvollen Bücherrücken im Nacken, war wieder Platz für Neues.

Fernab von allen meinen Habseligkeiten sehnte ich mich unterwegs auf meiner großen Reise endlich wieder danach, ein richtiges Buch zu lesen. Vielleicht war mein Kopf, der mit all den neuen Eindrücken, Welten und Geschichten gefüllt war, endlich wieder leer genug für mehr als nur ein Fast Read. Ein Buch war in Südostasien allerdings leichter gewünscht als gefunden, aber in einem internationalen Buchladen in Chiang Mai, Thailand kaufte ich endlich eins (passender Weise Under the wide and starry sky von Nancy Horan, quasi eine Weltenbummlergeschichte über Fanny und Robert Louis Stevenson). Noch bevor ich das Land verlassen hatte, war das Buch ausgelesen, aber trennen mochte ich mich von ihm nicht. So schleppte ich es unvernünftiger Weise mit mir um die dreiviertel Welt. Im australischen Sydney schließlich verbrachte ich einen glücklichen Vormittag in einem kleinen Buchladen, den ich ohne Buch, aber mit einer Weihnachtswunschliste verließ. Der Knoten in meinem Kopf war geplatzt.

Nach meiner Heimkehr führte ich diese Liste weiter. Ich notierte mir Bücher, die mir in Blogs, im Feuilleton, im Radio oder beim Literaturherbst so unterkamen und die interessant klangen. Mit dieser Liste zog ich wieder in die Bibliothek, wurde fündig und entdeckte nebenbei in den Regalen rechts und links noch weitere Bücher, die ich auslieh. Endlich konnte ich mich wieder einlassen. Ich wurde wieder gnädiger mit den Geschichten, gab ihnen mehr als 50 Seiten lang die Chance, sich zu entfalten. So entdeckte ich Charaktere, Schreibstile und Handlungsstränge, an die ich mich erst gewöhnen musste, um sie dann zu mögen.

Ich trug wieder ein Buch in ein Wartezimmer und in die Mittagspause, blieb unvernünftig lange wach, um ein Geschichte nicht unterbrechen zu müssen und sammelte mehr Zeit an, je mehr ich mit Lesen verbummelte. Ich las mich langsam, aber stetig durch mein schwedisches Weihnachtsbuch (Pernilla Oljelund: Elfrids och Milas riktiga jul), freute mich mit Lotta über ihre Zuckerwatte (Sandra Roth: Lotta Schultüte), gruselte mich beim Lesen von Meike Winnemuths Bin im Garten über den Satz (~das Layout) und gab der Büglerin von Heinrich Steinfest lang genug eine Chance, um am Ende doch mit ihr warmgeworden zu sein. Ich diskutierte leidenschaftlich den Sinn von Dystopien nach meinem Ausflug mit Oryx und Crake in eine weitere Welt von Margaret Atwood, ließ mich von Johanna Rombergs Federnlesen zu meinem Osterurlaubsziel inspirieren und brach Kampfsterne von Alexa Hennig von Lange nach genau der Hälfte überzeugt ab. Mit jedem Buch gewann ich literarische Offenheit zurück, wurde wieder geduldiger mit Literatur und mit mir selbst als Leserin.

Warum ich mich all die Jahre so schwer mit dem Lesen getan habe und die Gründe meiner Rückkehr zwischen die Buchseiten sind zwar Spekulation, aber ich erahne Zusammenhänge mit den Veränderungen in meinem Leben. Ich bin angekommen und es ist wunderbar, meine alte, vertraute Leidenschaft wieder mit mir auf dem Weg zu wissen. Ich werde ein Auge darauf halten, dass sie mir nicht wieder abhanden kommt und wo sollte ich sie besser pflegen, als irgendwo in neuen Gedankenwelten?

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PS: Wer auch mit dem Lesen hadert oder einfach Neues entdecken möchte und wie ich Probleme hat, sich auf Buchtipps von anderen einzulassen, der/dem sei Dein Buch empfohlen, quasi der ZDF Buchomat, bei dem man zwischen Themenpaaren auswählt und der am Ende eine Liste von Buchvorschlägen ausspuckt.

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Vielen Dank für das Bild an congerdesign auf Pixabay.